RezensionWeissbach, Hans-Jürgen / Lampe, Nicole / Späker, Gaby: Telearbeit. Veränderte ökonomische Rahmenbedingungen, alte und neue Bedürfnisse von ArbeitnehmerInnen Marburg 1997 (Reihe Standortdebatte). 76 Seiten. ISBN: 3-89472-190-1. Rezension aus: www.tel-e-management.de (Seite existiert nicht mehr.) Arbeitsformen, Arbeitsinhalte, Diffusion, Motivations- und Arbeitszufriedenheitsforschung, Psychologie, Regulierung Bewertung Sehr kleinteilige und vielfältige Aspekte berücksichtigende Untersuchung. Angesichts des Forschungsdesigns der emprischen Untersuchung nehmen deren Ergebnisse zurecht nur den kleineren Teil der Darstellung ein. 0. Einleitung Der Ausgangspunkt ist die Feststellung, daß die Telearbeit (TA) sich in Deutschland nicht derart ausbreitete, wie es die optimistischen Prognosen der achtziger Jahre vorhersahen und dass diese Entwicklung nun zum Wachstumshemmnis zu werden droht. Als Gründe führen die AutorInnen an: Mißtrauisches und zurückhaltendes Management (Kontroll- und Aufsichtsverlust), gewerkschaftliche Skepsis gegenüber Deregulierung sowie ein Nichtzuständigkeitsgefühl aufgrund der veränderten Kontexte der TA-Tätigkeit, Behäbigkeit der ArbeitnehmerInnen (Befürchtungen vor Verlust der "familiären" Betriebsanbindung und Zurückschrecken vor der Notwendigkeit neuer persönlicher Arrangements) und unzureichende technische Kenntnisse und sonstiger notwendiger Qualifikationen. Sie vertreten in Abgrenzung von den "beiden extremen Polen des Technikenthusiasmus und ehemals beschworenen Horrorszenarien" eine Position der "realistischen Einschätzung der Möglichkeiten und Probleme der breiten Einführung von TA" (S.9). 1. Ursachen der Einstellungsveränderungen bei Unternehmen und ArbeitnehmerInnen Verbesserte technologische Voraussetzungen, bestimmte, mit Outsourcing-Tendenzen einhergehende Flexibilisierungsmaßnahmen in den zentralen Unternehmensverwaltungen und geringer werdende soziale und arbeitspolitische Widerstände begünstigen die Entwicklung. Ebenso ein wachsender Anteil an selbständiger Arbeit, EU-Subventionierung, steigende technische Qualifikation und, damit verbunden, eine Reduzierung der Schulungskosten, veränderte Managementkonzepte, sowie die augenscheinliche Widerlegung früherer Horrorszenarien. Die AutorInnen gehen davon aus, daß die TA von einer bisher stärker "wertorientierten" (sozial-, arbeitsmarkt-, regionalpolitisch, ökologisch usw. motivierten) Latenzphase in eine wirtschaftlich motivierte breitere Umsetzungsphase eintritt. Da die Zahl der Gestaltungsoptionen immer größer wird, gewinnt der betriebswirtschaftliche Blick für die strategische Gestaltung von TA an Bedeutung. Zu den begünstigenden Faktoren gehören die zunehmende Diffusion von Internet und Netzkommunikation ganz allgemein und der "Trend zum kleinen Büro" im Zuge von Unternehmenskonzepten, die auf Outsourcing und externer Vernetzung sowie auf Lean Mangement basieren. Nach dem Einsetzen der Lean-Management-Welle hat eine Differenzierung der "Telearbeitslandschaft" begonnen. Neben Initiativen zur Vereinbarung von Beruf und Familie und der Erschließung bzw. Sicherung qualifizierter Arbeitskräftepotentiale wird TA auch zur Personalabbaustrategie. Die VerfasserInnen konstatieren für beide Seiten Chancen wie Risiken, wenn TA als Element von Lean Mangement zum Einsatz kommt. Die AutorInnen zeigen, daß das Bild der "(tele-)arbeitenden Mutter" ein Mythos ist. Daher rechnen sie nicht damit, daß Frauen die Hauptnutznießerinnen von TA sein werden. Sie gehen vielmehr davon aus, daß auch die Frauen selbst in TA "nicht unbedingt den erfolgversprechendsten Weg" zum Berufswiedereinstieg sehen werden. Regionale Entwicklungsschancen strukturschwacher (ländlicher) Gebiete steht bisher noch eine lückenhafte Netz-Infrastruktur entgegen. Zum Abschluß ihrer Tour d'Horizon des Entwicklungspotentials von TA für weitere Beschäftigtengruppen (Beschäftigte in Dienstleistungsmetropolen, Behinderte, Singles, Umsatz- und Karriereorientierte sowie technische Spezialisten) ziehen die AutorInnen das Resumee, daß zwar immer stärker das betriebswirtschaftliche Kalkül die Einführungsüberlegungen dominiert. Doch läßt sich diese Arbeitsform eben auch mit sozialen Bedürfnissen und beruflichen Motiven der ArbeitnehmerInnen vereinbaren. Nicht als Ideallösung, aber als (Teil-)Rückzugsmöglichkeit für die Familienphase, und als Sprungbrett in die Selbständigkeit für technische Spezialisten und Berufserfahrene erscheint TA durchaus erfolgversprechend. 2. Erwartungen der ArbeitnehmerInnen Die VerfasserInnen fragen, in welchem Verhältnis TA zu den von der Motivations- und Arbeitszufriedenheitsforschung ermittelten Bedürfnisstrukturen von ArbeitnehmerInnen stehen. Hat sich im Zuge des Wertewandels eine 'neue' oder veränderte, bisher ungenügend berücksichtigte Bedürfnisstruktur entwickelt, die sich mit den klassischen Motivationstheorien nicht mehr angemessen beschreiben läßt? Die AutorInnen interpretieren aufgrund der nicht hinreichenden Theorieangebote der klassischen Arbeitszufriedenheitsforschung die Entwicklung von TA im Zusammenhang eines von der Individualisierungstheorie angenommenen Wertewandels. Während sie die dort konstatierte Entwertung der Arbeit nicht eindeutig ausmachen können, betonen sie aber die gestiegene individuelle Mobilität. Außerdem erschwert die Flexibilisierung von immer mehr Arbeitsverhältnissen die kollektive Interessensvertretung. Allerdings geht diese Entwicklung mit dem Abbau von machtförmigen zugunsten von marktförmigen innerbetrieblichen Beziehungen sowie zunehmender Bedeutung von professionellem Einfluß, Kooperation, Verhandlung und Vertrauen einher. 3. Befragung und Erhebung Zur Überprüfung der Erwartungen von ArbeitnehmerInnen mit TA im Vergleich zu denen mit einem festen Arbeitsplatz im Büro führten Weißbach u.a. eine halbstandardisierte Befragung von 44 Personen im Ruhrgebiet, im Frankfurter und im Stuttgarter Raum durch. Befragt wurden überwiegend abhängig Beschäftigte auf im Prinzip telearbeitsfähigen Arbeitsplätzen (darunter eine kleine Zahl von Vorgesetzten), ferner einige beschäftigungslose oder studierende Personen, die vor dem Berufseintritt stehen oder in den Beruf zurückkehren wollen. Ebenso einige (Halb-)Selbständige mit typischem Wechsel zwischen Anstellungsverhältnissen und Selbständigkeit und zusätzlich sieben TelearbeiterInnen. Ziel war die Prüfung der Hypothesen aus der Arbeitszufriedenheitsforschung sowie die Ermittlung von subjektiven und sozialen Faktoren, die für Akzeptanz und Einführung relevant sind. Das Ergebnis zeigt, daß die Akzeptanz wächst, insbesondere bei jungen Männern mit geringem Geselligkeitsbedürfnis (= "Affiliationsbedürfnis"). Bei ihnen stehen die flexiblen Freizeitmöglichkeiten und der souveräne Technikumgang im Mittelpunkt. Die Haltung von Frauen zur TA ist differenzierter und am ablehnendsten. Der Grund ist die im Vergleich zu Männern lebensgeschichtlich spätere Technogiekonfrontation. Ablehnung erfährt die TA auch bei etwas älteren männlichen und weiblichen Berufsroutiniers, bei den Kontroll- und Machtorientierten sowie bei gering qualifizierten Beschäftigten. Weißbach u.a. fanden wenig "primäre 'Motivatoren'" in der TA. Zustimmung resultiert vor allem aus einem pragmatisch-realistischen Mix von "Hygienefaktoren" (S.70), etwa mehr Freizeit bei Männern. Demgegenüber äußern Frauen mit Kindern Furcht vor Doppelbelastungen und häufigen Störungen, was wiederum ihre Bereitschaft zur TA erheblich reduziert. TA kann gesteigerte Kontaktbedürfnisse und ein verändertes Freizeitverhalten bedingen. Kurzfristig wird keine deutliche Reduzierung des inviduellen Kurzstreckenverkehrs erfolgen. Allenfalls bei Langstreckenfahrten (gewerblicher Verkehr) ist eine echte Substitution zu erwarten. Verkehr und Telekommunikation verhalten sich bei nichtsteigenden Energiekosten eher komplementär denn substitutiv. Aus organisationstheoretischer Perspektive verweisen Weißbach u.a. noch auf den wachsenden Bedarf entwickelter Mechanismen sozialer Integration. Damit sind vor allem die Möglichkeiten einer entwickelten Face-to-Face-Kooperation (Fähigkeit zur Teamarbeit, stabile Koalitionen etc.) gemeint, die als Voraussetzung für Entscheidungseffizienz, Partizipation und Motivation sowie für dauerhafte mikropolitische Koalitionen gelten. Daher sehen sie TA "am ehesten" als Alternative für bereits gut eingespielte Teams, die dennoch immer wieder ihre mikropolitischen Koalitionen in längeren Face-to-Face-Phasen erneuern müssen (S.71). Sie verweisen einerseits auf die "völlige Umprägung von Kommunikationsbeziehungen durch TA" am Beispiel von Nike, wo ein Weltkonzern nur noch aus 300 Mitarbeitern besteht, zugleich aber die "Global Cities" zeigen, daß die "Fühlungsvorteile" nicht durch TA ersetzt werden können (S.72).
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